Dienstag, 20. Juni 2017

Renaissance der Reisebüros

Eigentlich dürfte es jemanden wie Christian Stosius gar nicht mehr geben. Der Mann ist 35 Jahre alt und gelernter Reisekaufmann. Er verdient seinen Lebensunterhalt also mit einem Beruf, der schon seit einiger Zeit als tot gilt, der Digitalisierung zum Opfer gefallen. In der Sprache der „Disrupter“, also all jener, die mit Hilfe des Internets alte Jobs zerstören und neue wieder aufbauen, gilt er als „Bildschirmrückseitenberater“ und damit als jemand, der den Kunden nur umständlich vorliest, was sie sich selbst im Internet heraussuchen könnten. Dass der preissensible Verbraucher dies nicht mehr mitmacht, galt lange Zeit als ausgemacht. 
Und tatsächlich, zunächst sah auch alles nach einem langsamen, schmerzvollen Tod aus: Seit dem Jahr 2002 ging es mit der Zahl der Reisebüros stetig bergab. Das war zufälligerweise das Jahr, in dem Stosius seine Ausbildung begann. Es wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, sich umzuorientieren. 14.235 Reisebüros gab es damals in Deutschland, und seitdem wurden es Jahr für Jahr weniger, weil immer mehr Menschen ihre Reise im Internet buchen:
Bahn- und Flugticket, Hotel, Mietwagen, Pauschalreisen, alles lässt sich bequem von zu Hause aus organisieren. Viele Teenager haben noch nie ein Reisebüro von innen gesehen. Von diesem Konzept haben sie erst gehört, als die Youtube-Ikone Bibi einmal einen Thomas-Cook-Katalog zierte. Verdutzt stellten ihre Fans fest, dass es die Informationen aus dem Netz auch in Hochglanz-Broschüren gibt, ebenfalls kostenlos.
Das alles spricht nicht gerade für eine rosige Zukunft der Branche, doch die Zahlen sind erstaunlich positiv. Auch heute noch wird nicht einmal die Hälfte der vorab gebuchten Reisen mit einem Marktvolumen von knapp 60 Milliarden Euro online gebucht, den Zahlen des Deutschen Reise-Verbandes zufolge sind es gerade einmal 40 Prozent. Für die restlichen 60 Prozent suchen die Menschen noch immer lieber ein Reisebüro auf. Deshalb hält sich die Zahl der Läden seit 2012 erstaunlich wacker, es geht sogar langsam wieder bergauf. Im vergangenen Jahr lag die Zahl wieder knapp unter der 10.000er-Marke.

Christian Stosius gehört eins der 9938 Reisebüros in Deutschland, ein Franchise-Laden des Touristik-Konzerns Thomas Cook mitten im Einkaufszentrum „Taunus Carré“ im kleinen Taunusstädtchen Friedrichsdorf. Schon seinen Eltern gehörte ein Reisebüro in Friedrichsdorf, das gibt es auch noch immer. Mit dem 33 Quadratmeter großen Laden im Einkaufszentrum hat sich Familie Stosius also noch einmal vergrößert. Die Frage ist: Warum eigentlich?
An Schnäppchen mangelt es dem Internet nicht, gerade in Sachen Urlaub jagt eine Rabattschlacht die nächste. Vergleichsportale, so scheint es zumindest, weisen zuverlässig den Weg durch den Tarifdschungel. Das Internet hat rund um die Uhr geöffnet, der nächste Sommerurlaub lässt sich deshalb auch mitten in der Nacht buchen oder am heiligen Sonntag. Herr Stosius macht seinen Laden dagegen pünktlich zu.
Das Internet allerdings hilft auch ihm. Wer heute ins Reisebüro geht, muss sich nicht an unzähligen Katalogständern vorbeidrücken. Man sitzt auf Barhockern, bekommt noch einen Kaffee und kann schon einmal ganz eigenständig auf dem „Inspirator“, einem bereitgestellten Tabletcomputer, durch all die Angebote wischen, die die Software für den Kunden herausgesucht hat: je nachdem, ob er sich als „Genießer“, „Wasserratte“ oder „Sonnenanbeter“ sieht, und je nachdem, ob er sich eine Reise der Kategorie „Smart“ für günstig, „Classic“, „Premium“ oder „Deluxe“ gönnen möchte.
Die Reiseveranstalter haben das schon längst erkannt. Unternehmen wie Thomas Cook oder TUI arbeiten seit Jahren mit Hochdruck an neuen Ladenkonzepten, auch viele unabhängige Anbieter mischen mit. Der Kunde soll sich gemeinsam mit dem Berater „partnerschaftlich“ eine Reise aussuchen, von einem Verhältnis „auf Augenhöhe“ ist die Rede. Das schlägt sich auch im Ambiente nieder. 3D-Brillen mit Bildern von Reisezielen und Hotels sorgen schon vor Ort für beste Urlaubsstimmung. „Flagship-Stores“ wie der von TUI in Berlin erinnern eher an Raumschiff Enterprise als an Reisebüros. Hauptsache, modern.

Das Internet hilft Anbietern wie Stosius allerdings auch noch auf ganz andere Weise: Es ist schlicht zu kompliziert geworden. Das weiß jeder, der schon einmal bei Expedia schnell einen Lufthansa-Flug gebucht hat, ohne zu merken, dass sich hinter dem Spottpreis nur ein gepäckfreier Tarif verbirgt. Die Koffer selbst kosten noch einmal 40 Euro extra – je Stück. „Hätten Sie doch gleich bei uns gebucht“, seufzt die Dame an der Lufthansa-Abfertigung dann, schließlich ist es ihre Aufgabe, die nörgelnden Expedia-Kunden wieder zu besänftigen.
Auch Christian Stosius kann da nur milde lächeln. Das Vorurteil, im Reisebüro sei alles viel teurer, habe ohnehin noch nie gestimmt, sagt er dann. Bei Pauschalreisen gilt in Deutschland eine Preisbindung. Genauso wie in jedem Buchladen die Bücher gleich teuer sind, kostet auch die eine spezielle Reise, 14 Tage Gran Canaria in ein bestimmtes Hotel zu einem bestimmten Zeitpunkt, überall genau gleich viel. Ob Flugreise, Mietwagen, Hotelbuchung – alle greifen auf die gleichen Datenbanken zu. Man muss sich nur auskennen. Und das ist genau das Problem:
„Viele Kunden wollen sich die umständliche Recherche zu Hause nicht mehr antun“, sagt Thomas-Cook-Manager Thomas Kloss, zuständig für die konzerneigenen Reisebüros. Das wird auch so bleiben, denn Reisen wird nicht etwa leichter. „Das Reiseangebot ist so vielfältig geworden. Neben der klassischen Pauschalreise gibt es viele Baustein-Produkte, die miteinander kombiniert werden können.“
Die Deutschen sind ohnehin in Sachen Urlaub erstaunlich spendabel. Die paar Wochen im Jahr sind ihnen sogar wichtiger als Autos. Durchschnittlich rund 1020 Euro investieren die Kunden in diesem Jahr in ihre Urlaubsreise, schätzt die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Für ihre Autos haben die Deutschen im vergangenen Jahr knapp 200 Euro weniger ausgegeben. Dafür lohnt sich dann auch der Gang ins Reisebüro.

Quelle: FAZ

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