Montag, 4. Februar 2013

Dreamliner: Boeing überfordert Zulieferer

Ein völlig neues Produktionssystem sowie zahlreiche technische Neuerungen scheinen die Ursache für den Fehlstart von Boeings Dreamliner zu sein. Allerdings sind solche Schwierigkeiten nicht ungewöhnlich.

von Heinrich Grossbongardt
HAMBURG (sm/ks). Mit der 787 hat Boeing technologisch einen großen Sprung gewagt. Selten wurde so viel neue Technologie in ein neues Flugzeug gesteckt. Nicht nur, dass Rumpf, Flügel und Leitwerk komplett aus Kohlefaser sind, auch bei den Flugzeugsystemen wählte Boeing einen radikal neuen Ansatz. Bislang erfolgt das Starten der Triebwerke, die Enteisung der Flügel, und die Klimatisierung der Kabine mit Luft, die man vor der Brennkammer aus dem Triebwerk abzapft. Das kostet Gewicht und geht außerdem zu Lasten der Effizienz der Motoren. Die Ingenieure in Seattle entschieden sich deshalb, von Pneumatik auf Elektrik umzusteigen.
Diese ist es denn auch, die Boeing den meisten Ärger zu machen scheint und auf die sich die Zulassungsbehörde jetzt in ihrer Überprüfung konzentriert. Schon in der Flugerprobung sorgte sie für Ärger und vier der bislang ausgelieferten 50 Flugzeuge hatten gravierende Probleme auf diesem Gebiet. Mit den für den Start der Triebwerke oder die Beheizung der Flügelvorderkante erforderlichen Stromstärken in dem 115-Volt-Stromnetz an Bord umzugehen, ist Neuland. Insgesamt geht es um knapp 1,5 Megawatt elektrischer Leistung. Als besonderes Sorgenkind entpuppten sich die beiden großen Lithium-Ionen-Akkus, die vor allem dazu dienen, die Hilfsturbine im Heck zu starten. In dieser Größenordnung wurden sie an Bord von Verkehrsflugzeugen bisher nicht eingesetzt. In einem Fall überhitzte eine Batterie am Boden und verursachte einen Brand, in einem zweiten blieb es beim Austreten von Elektrolyt.
Auch das Produktionssystem der 787 bricht mit ehernen Traditionen der Branche. Nicht nur lässt Boeing wichtige Komponenten wie Flügel, Rumpfsegmente und Teile des Leitwerks bei gut einem Dutzend Partnern in aller Welt fertigen, nach dem Vorbild der Automobilindustrie gab das Unternehmen auch die Zuständigkeit für die Konstruktion und das Management der Unterlieferanten an die Partner ab. So wird der Rumpf in vier Segmenten in Japan (Kawasaki), Italien (Alenia), Kansas (Spirit) und South Carolina (Vought) hergestellt. Für die Flügel und den anspruchsvollen Flügelmittelkasten sind die drei japanischen Heavys Kawasaki, Mitsubishi und Fuji verantwortlich. Vier speziell umgebaute Jumbo-Jets fliegen die mit allen Kabeln und Systemen ausgerüsteten Baugruppen zu den Endmontagelinien in Everett (Washington) und Charleston (South Carolina). Dort werden sie dann „nur“ noch zusammengebaut, das Flugzeug erhält Innenausstattung und Lackierung, fertig.
Doch die Erfahrung der Autobauer mit dieser sehr weitgehenden Arbeitsteilung fehlt in der Luftfahrt, und so überforderte diese Aufgabe viele der Zulieferer bei Weitem. Was die ohnehin gute Profitabilität Boeings weiter steigern und damit Wall Street Freude machen sollte, führte geradewegs ins Desaster. Drei Jahre Verspätung und mehr als zehn Milliarden Dollar Mehrkosten waren der Preis. Der hohe externe Fertigungsanteil bereitet auch jetzt Kopfzerbrechen, denn er kompliziert die Überprüfung des Produktionssystems durch die FAA.
Indes sind die Kinderkrankheiten dieses Flugzeugs für Fachleute weder überraschend, noch sind sie in ihrem Umfang außergewöhnlich. Mehr als 90 % beträgt die Zuverlässigkeit; das bedeutet, dass etwa einer von zehn Flügen aus technischen Gründen um mehr als 15 Minuten verspätet ist. Kaum mehr als ein Dutzend Flüge mussten komplett gestrichen werden, seit Erstkunde ANA am 26. Oktober 2011 den ersten Linienflug machte.
Boeing betont, dass dies in derselben Größenordnung liege wie bei Einführung der inzwischen für ihre herausragende Zuverlässigkeit bekannten 777. Eines ist heute allerdings anders als in den 90ern: Schon die Nachricht über einen geplatzter Reifen findet inzwischen ihren Weg in die Medien rund um den Globus. Der Softwareindustrie wird immer mal vorgeworfen, sie lasse ihre Produkte beim Kunden reifen. In der Luftfahrt ist das gar nicht anders möglich, ein Grund, weshalb die ersten Kunden eines neuen Flugzeugs hohe Rabatte bekommen.
aus Produktion Nr. 5, 2013

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