Eigentlich
 dürfte es jemanden wie Christian Stosius gar nicht mehr geben. Der Mann
 ist 35 Jahre alt und gelernter Reisekaufmann. Er verdient seinen 
Lebensunterhalt also mit einem Beruf, der schon seit einiger Zeit als 
tot gilt, der Digitalisierung zum Opfer gefallen. In der Sprache der 
„Disrupter“, also all jener, die mit Hilfe des Internets alte Jobs 
zerstören und neue wieder aufbauen, gilt er als 
„Bildschirmrückseitenberater“ und damit als jemand, der den Kunden nur 
umständlich vorliest, was sie sich selbst im Internet heraussuchen 
könnten. Dass der preissensible Verbraucher dies nicht mehr mitmacht, 
galt lange Zeit als ausgemacht. 
    
            
                                            
    
                        
                                                        
    
    
                   
  
 
    
             
Und tatsächlich, zunächst sah auch alles nach 
einem langsamen, schmerzvollen Tod aus: Seit dem Jahr 2002 ging es mit 
der Zahl der Reisebüros stetig bergab. Das war zufälligerweise das Jahr,
 in dem Stosius seine Ausbildung begann. Es wäre ein guter Zeitpunkt 
gewesen, sich umzuorientieren. 14.235 Reisebüros gab es damals in 
Deutschland, und seitdem wurden es Jahr für Jahr weniger, weil immer 
mehr Menschen ihre Reise im Internet buchen:
Bahn- und Flugticket,
 Hotel, Mietwagen, Pauschalreisen, alles lässt sich bequem von zu Hause 
aus organisieren. Viele Teenager haben noch nie ein Reisebüro von innen 
gesehen. Von diesem Konzept haben sie erst gehört, als die Youtube-Ikone
 Bibi einmal einen Thomas-Cook-Katalog zierte. Verdutzt stellten ihre 
Fans fest, dass es die Informationen aus dem Netz auch in 
Hochglanz-Broschüren gibt, ebenfalls kostenlos.
Das alles spricht 
nicht gerade für eine rosige Zukunft der Branche, doch die Zahlen sind 
erstaunlich positiv. Auch heute noch wird nicht einmal die Hälfte der 
vorab gebuchten Reisen mit einem Marktvolumen von knapp 60 Milliarden 
Euro online gebucht, den Zahlen des Deutschen Reise-Verbandes zufolge 
sind es gerade einmal 40 Prozent. Für die restlichen 60 Prozent suchen 
die Menschen noch immer lieber ein Reisebüro auf. Deshalb hält sich die 
Zahl der Läden seit 2012 erstaunlich wacker, es geht sogar langsam 
wieder bergauf. Im vergangenen Jahr lag die Zahl wieder knapp unter der 
10.000er-Marke.
Christian
 Stosius gehört eins der 9938 Reisebüros in Deutschland, ein 
Franchise-Laden des Touristik-Konzerns Thomas Cook mitten im 
Einkaufszentrum „Taunus Carré“ im kleinen Taunusstädtchen 
Friedrichsdorf. Schon seinen Eltern gehörte ein Reisebüro in 
Friedrichsdorf, das gibt es auch noch immer. Mit dem 33 Quadratmeter 
großen Laden im Einkaufszentrum hat sich Familie Stosius also noch 
einmal vergrößert. Die Frage ist: Warum eigentlich?
An Schnäppchen 
mangelt es dem Internet nicht, gerade in Sachen Urlaub jagt eine 
Rabattschlacht die nächste. Vergleichsportale, so scheint es zumindest, 
weisen zuverlässig den Weg durch den Tarifdschungel. Das Internet hat 
rund um die Uhr geöffnet, der nächste Sommerurlaub lässt sich deshalb 
auch mitten in der Nacht buchen oder am heiligen Sonntag. Herr Stosius 
macht seinen Laden dagegen pünktlich zu.
Das 
Internet allerdings hilft auch ihm. Wer heute ins Reisebüro geht, muss 
sich nicht an unzähligen Katalogständern vorbeidrücken. Man sitzt auf 
Barhockern, bekommt noch einen Kaffee und kann schon einmal ganz 
eigenständig auf dem „Inspirator“, einem bereitgestellten 
Tabletcomputer, durch all die Angebote wischen, die die Software für den
 Kunden herausgesucht hat: je nachdem, ob er sich als „Genießer“, 
„Wasserratte“ oder „Sonnenanbeter“ sieht, und je nachdem, ob er sich 
eine Reise der Kategorie „Smart“ für günstig, „Classic“, „Premium“ oder 
„Deluxe“ gönnen möchte.
Die Reiseveranstalter haben das schon längst erkannt. Unternehmen wie Thomas Cook oder 
TUI
 arbeiten seit Jahren mit Hochdruck an neuen Ladenkonzepten, auch viele 
unabhängige Anbieter mischen mit. Der Kunde soll sich gemeinsam mit dem 
Berater „partnerschaftlich“ eine Reise aussuchen, von einem Verhältnis 
„auf Augenhöhe“ ist die Rede. Das schlägt sich auch im Ambiente nieder. 
3D-Brillen mit Bildern von Reisezielen und Hotels sorgen schon vor Ort 
für beste Urlaubsstimmung. „Flagship-Stores“ wie der von TUI in Berlin 
erinnern eher an Raumschiff Enterprise als an Reisebüros. Hauptsache, 
modern.
 
Das
 Internet hilft Anbietern wie Stosius allerdings auch noch auf ganz 
andere Weise: Es ist schlicht zu kompliziert geworden. Das weiß jeder, 
der schon einmal bei Expedia schnell einen Lufthansa-Flug gebucht hat, 
ohne zu merken, dass sich hinter dem Spottpreis nur ein gepäckfreier 
Tarif verbirgt. Die Koffer selbst kosten noch einmal 40 Euro extra – je 
Stück. „Hätten Sie doch gleich bei uns gebucht“, seufzt die Dame an der 
Lufthansa-Abfertigung dann, schließlich ist es ihre Aufgabe, die 
nörgelnden Expedia-Kunden wieder zu besänftigen.
Auch Christian 
Stosius kann da nur milde lächeln. Das Vorurteil, im Reisebüro sei alles
 viel teurer, habe ohnehin noch nie gestimmt, sagt er dann. Bei 
Pauschalreisen gilt in Deutschland eine Preisbindung. Genauso wie in 
jedem Buchladen die Bücher gleich teuer sind, kostet auch die eine 
spezielle Reise, 14 Tage Gran Canaria in ein bestimmtes Hotel zu einem 
bestimmten Zeitpunkt, überall genau gleich viel. Ob Flugreise, 
Mietwagen, Hotelbuchung – alle greifen auf die gleichen Datenbanken zu. 
Man muss sich nur auskennen. Und das ist genau das Problem:
„Viele Kunden wollen 
sich die umständliche Recherche zu Hause nicht mehr antun“, sagt 
Thomas-Cook-Manager Thomas Kloss, zuständig für die konzerneigenen 
Reisebüros. Das wird auch so bleiben, denn Reisen wird nicht etwa 
leichter. „Das Reiseangebot ist so vielfältig geworden. Neben der 
klassischen Pauschalreise gibt es viele Baustein-Produkte, die 
miteinander kombiniert werden können.“
Die Deutschen sind 
ohnehin in Sachen Urlaub erstaunlich spendabel. Die paar Wochen im Jahr 
sind ihnen sogar wichtiger als Autos. Durchschnittlich rund 1020 Euro 
investieren die Kunden in diesem Jahr in ihre Urlaubsreise, schätzt die 
Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Für ihre Autos haben die 
Deutschen im vergangenen Jahr knapp 200 Euro weniger ausgegeben. Dafür 
lohnt sich dann auch der Gang ins Reisebüro.
Quelle: FAZ