Der Unistergründer und ehemalige Unternehmenschef
Thomas Wagner hatte alle Warnungen in den Wind geschlagen. Mehrfach
rieten ihm enge Mitarbeiter vor dem am Ende verhängnisvollen
Darlehensgeschäft in Venedig ab. „Thomas, lass die Finger davon, die
Sache ist suspekt, wir wissen nicht, was das für Leute sind“, redete der
Aufsichtsratsvorsitzende der Unister-Tochter Capital One AG, Roland S.
(51), auf ihn ein. Zwei Wochen später tappte Wagner trotzdem in die
Falle, verlor dabei 1,5 Millionen Euro und stürzte am nächsten Tag mit
seinem Gesellschafter-Kollegen Oliver Schilling (39), Finanzmakler Heinz
B. (65) und dem Piloten in Slowenien ab und starb.
Viele
Details aus der „Akte Unister“ klingen wie aus einem Wirtschaftskrimi
abgeschrieben. Am Mittwoch kam vor dem Landgericht in Leipzig ein
weiteres Kapitel dazu. Vor der 16. Strafkammer wird gegen Wilfried S. (69) wegen Betrugs verhandelt. Er soll maßgeblich an dem Kreditschwindel beteiligt gewesen sein.
Codename "Epsilon"
Wagner
brauchte dringend frisches Geld. Sein Plan: Er wollte einen Teil der
Reisesparte an die Börse bringen und Einnahmen von mindestens 100
Millionen Euro generieren. Das Filetstück von Unister sollte in die
Unternehmenstochter Capital One AG eingebracht und später auf dem
Düsseldorfer Parkett platziert werden. Bei Unister wurde das Projekt
unter dem Codenamen „Epsilon“ geführt.
Von
Banken bekam Wagner kein Geld mehr. Er suchte deshalb nach Investoren
und ließ dafür auch den Leipziger Immobilienkaufmann Oliver B. (54)
ansprechen. Er vermittelte einige Kontakte, auch zu Karsten K. (68),
einem ehemaligen Bankdirektor in Leipzig. „Ich kenne K. seit 20 Jahren“,
so B., der dem Finanzexperten vertraut. Und Karsten K. engagierte sich.
Nach
einigem Hin und Her präsentierte K. schließlich eine Möglichkeit. Ein
Privatmann, es handelte sich um den vermeintlichen Israeli Levy Vass,
wolle eine Millionensumme bereitstellen. Die Details sollten im Hotel
Luisenhof in Hannover besprochen werden. Wagner schickte von der Capital
One den Vorstandsvorsitzenden Marvin A. und dessen Kollegen S. zu dem
Treffen am 28. Juni vergangenen Jahres nach Niedersachsen. A. und S.,
die am Mitwoch am Landgericht als Zeugen aussagten, sind noch immer
völlig entsetzt, wenn sie an die Begegnung zurückdenken. Sie trafen im
Luisenhof auf den Angeklagten S., den Banker K. und den später
abgestürzten B. Wagner berichten die beiden Manager aus Leipzig noch am
selben Abend: „Ich glaube, wir haben mit der Mafia gesprochen.“
Termin war "a waste of time"
S.
führte das Wort und erläuterte das Geschäft. Zehn Prozent der
Darlehenssumme seien vom Kreditnehmer als Sicherheit für eine
Ausfallversicherung in bar zu übergeben. Im Gegenzug bekomme dieser 25
Prozent des Kredits ebenfalls in bar, der Rest werde überwiesen. Den
Namen des Investors und der Versicherung erfuhren sie auch auf Nachfrage
nicht. Im Gegenteil: Der Angeklagte S. sei pampig geworden. Er mache
den Deal nicht das erste Mal, müsse direkt mit Wagner sprechen und S.
sei wohl der falsche Mann, polterte er.
Den
beiden Leipzigern wurde die Sache damals nach 20 Minuten zu bunt, sie
standen auf und gingen. Die Visitenkarten ihrer drei Gesprächspartner
zerrissen sie. Anschließend warnten A. und S. ihren Mitstreiter Wagner
mehrfach und eindringlich vor dem Trio. Der Termin sei „ a waste of
time“ gewesen, also reine Zeitverschwendung, schrieben sie ihm.
10.000 Schweizer Franken verschwunden
Der
38-Jährige schlug dennoch alle Warnungen in den Wind, tauschte sich
weiter mit Banker K. aus und reiste am 13. Juli schließlich nach
Venedig. Dort verschwand Vass mit Wagners 1,5 Millionen Euro und der
Unisterchef bekam statt rund vier Millionen lediglich 20.000 Schweizer
Franken. Der Rest war Falschgeld. Später, am Absturzort in Slowenien,
fanden die Ermittler 10.000 Schweizer Franken in Wagners Rucksack. Die
andere Hälfte der Summe ist bis heute verschwunden.
Bleibt
die Frage, warum sich Wagner auf den Deal einließ? A. und S. können es
sich noch immer nicht erklären. Wagner sei Experte für den Reisebereich
gewesen, nicht aber für Finanzen, sagt A. Mit einer so hohen
Bargeldsumme zu reisen sei völlig unüblich und der Entwurf für den
Kreditvertrag mit nur fünf Seiten lächerlich gewesen.
Wagner
war offenbar vom „Projekt Epsilon“ besessen. Am Nachmittag vor dem
Venedig-Flug sei er bei einer Besprechung mit einem Rucksack
aufgetaucht, für ihn völlig untypisch, berichtet A. Darin haben sich
offenbar schon die 1,5 Millionen Euro befunden.
Die
Nacht vor der Reise verbrachte Wagner mit seiner Lebensgefährtin im
Leipziger Steigenberger Hotel. Vertreter der Reisebranche, die dort auch
übernachteten, erinnern sich an ein Gespräch an der Bar. Dabei fiel von
der Wagner-Seite sinngemäß der Satz: „In vier Wochen wird bei Unister
alles anders aussehen, wartet es ab.“ Wagner sollte Recht behalten, aber
nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte. Sechs Tage nach der
abendlichen Runde an der Bar stellte das Unternehmen einen
Insolvenzantrag.
Der Prozess wird am kommenden Mittwoch fortgesetzt. Dann will der Angeklagte umfangreich aussagen.
Quelle: Leipziger Volkszeitung
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